Am Donnerstagabend, dem 15. Mai 2025, versammelten sich hochrangige Vertreter aus Militär, Politik und Gesellschaft im prunkvollen Hotel Imperial in Wien, um den 70. Jahrestag der Unterzeichnung des Österreichischen Staatsvertrages und der Wiedererlangung der staatlichen Unabhängigkeit zu feiern. Die Veranstaltung, organisiert von den Hoch- und Deutschmeistern, der Österreichischen Offiziersgesellschaft und dem Milizverband Österreich, stand unter dem Titel „70 Jahre Österreichisches Bundesheer – Der Einfluss der neuen sicherheitspolitischen Ordnung in Europa auf Österreich“. Die Podiumsdiskussion wurde von drei herausragenden Experten bestritten: dem ehemaligen NATO Supreme Allied Commander Europe (SACEUR) und Vier-Sterne-General der US Air Force, Philip Breedlove, dem Generalsekretär im Bundesministerium für Landesverteidigung (BMLV), Dr. Arnold Kammel, sowie dem stellvertretenden Chef des Generalstabes des Österreichischen Bundesheers, Generalleutnant Günter Hofbauer.
General Philip Breedlove: Ein strategischer Weitblick
General Philip Breedlove, der von 2013 bis 2016 als NATO-Oberbefehlshaber in Europa diente, brachte seine umfassende Erfahrung in die Diskussion
ein. In einer Zeit, die von der Annexion der Krim durch Russland und zunehmenden geopolitischen Spannungen geprägt war, lenkte er die strategischen und operativen Maßnahmen der NATO in Europa.
Seine Expertise in der Führung komplexer internationaler Operationen und seine Fähigkeit, Bedrohungsszenarien präzise zu analysieren, machten ihn zu einem weltweit gefragten Berater. In Wien
lieferte Breedlove eine eindrucksvolle Analyse der aktuellen sicherheitspolitischen Lage. „Europa steht vor einer neuen Ära der Unsicherheit“, betonte er. „Die Bedrohungslage ist nicht nur
komplexer geworden, sondern auch vielschichtiger. Konventionelle militärische Bedrohungen, die wir lange für unwahrscheinlich hielten, sind wieder Realität.“ Er wies darauf hin, dass die NATO und
ihre Partnerstaaten, aber auch neutrale Länder wie Österreich, ihre Verteidigungskapazitäten dringend stärken müssen, um auf diese Entwicklungen reagieren zu können.
Die neue sicherheitspolitische Ordnung: Herausforderungen für Europa und Österreich
Die Diskussion machte deutlich, dass die sicherheitspolitische Landschaft in Europa einem tiefgreifenden Wandel unterliegt. Neben traditionellen militärischen Bedrohungen durch staatliche Akteure gewinnen hybride Gefahren wie Cyberangriffe, Desinformationskampagnen und wirtschaftlicher Druck an Bedeutung. Breedlove unterstrich, dass die Fähigkeit, schnell und flexibel auf diese Bedrohungen zu reagieren, für alle europäischen Staaten entscheidend ist. Für Österreich als neutralen Staat, der nicht auf die kollektive Verteidigung eines Bündnisses wie der NATO zurückgreifen kann, ist diese Herausforderung besonders groß.
Dr. Arnold Kammel, Generalsekretär im BMLV, betonte die Bedeutung einer gestärkten nationalen Verteidigungsfähigkeit. „Neutralität bedeutet nicht Passivität, sondern aktive Verantwortung für die eigene Sicherheit“, erklärte Kammel. „Österreich muss in der Lage sein, seine Souveränität und territoriale Integrität eigenständig zu schützen. Dafür brauchen wir ein modernes, gut ausgestattetes Bundesheer, das auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts vorbereitet ist.“ Er plädierte für eine deutliche Erhöhung der Verteidigungsausgaben, um die Modernisierung der Streitkräfte voranzutreiben, und betonte die Rolle internationaler Partnerschaften, etwa im Rahmen der Europäischen Union oder der Partnerschaft für den Frieden (PfP).
Generalleutnant Günter Hofbauer, stellvertretender Chef des Generalstabes, ergänzte diese Einschätzung mit einer operativen Perspektive. „Die
Bedrohungslage erfordert eine flexible und einsatzbereite Streitkraft“, so Hofbauer. „Das bedeutet nicht nur Investitionen in neue Technologien wie Luftverteidigungssysteme oder Cyberabwehr,
sondern auch eine Stärkung der Miliz und eine intensivere Ausbildung unserer Soldaten.“ Er wies darauf hin, dass das Bundesheer in den letzten Jahren Fortschritte gemacht habe, jedoch noch
erheblicher Nachholbedarf bestehe, um mit den Anforderungen der neuen Sicherheitslage Schritt zu halten.
Österreichs Neutralität in einer polarisierten Welt
Ein zentraler Punkt der Diskussion war die Frage, wie Österreich seine Neutralität in einer zunehmend polarisierten und unsicheren Welt bewahren und gleichzeitig seine Sicherheit gewährleisten kann. Die Neutralität, ein Kernbestandteil der österreichischen Identität seit dem Staatsvertrag von 1955, wurde von allen Podiumsteilnehmern primär auch als Verpflichtung betrachtet. Breedlove lobte Österreichs Engagement in internationalen Friedensmissionen und seine Beiträge zur Stabilität in der Region, betonte jedoch: „Neutralität erfordert Stärke. Ohne eine glaubwürdige Verteidigungsfähigkeit verliert die Neutralität ihre Wirkung.“ Er forderte Österreich auf, seine Rolle als stabilisierender Faktor in Europa durch eine modernisierte und gut finanzierte Streitkraft zu untermauern.
Neben der hochkarätigen Podiumsdiskussion bot die Veranstaltung auch Raum für persönliche Gespräche im kleineren Kreis. Die Gelegenheit, mit General Breedlove direkt über die Herausforderungen der europäischen Sicherheitslage zu sprechen, war für viele Teilnehmer ein Höhepunkt. Seine Offenheit, seine klare Sprache und sein strategischer Weitblick hinterließen einen bleibenden Eindruck.
Fazit: Ein Weckruf für Österreich
Die Veranstaltung im Hotel Imperial war nicht nur eine würdige Feier des 70. Jahrestages des Staatsvertrages, sondern auch ein dringender Weckruf für Österreich. Die neue sicherheitspolitische Ordnung in Europa stellt hohe Anforderungen an die Verteidigungsfähigkeit eines neutralen Staates. Die Expertise von General Breedlove, kombiniert mit den fundierten Einblicken von Dr. Kammel und Generalleutnant Hofbauer, machte deutlich, dass die Zukunft des Österreichischen Bundesheers von einer klaren strategischen Ausrichtung, erhöhten Investitionen und einer breiten gesellschaftlichen Unterstützung abhängt.
Creditangabe Militär Aktuell/Sebastian Freiler
Der 70. Jahrestag der Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrages wurde am Donnerstag, dem 15. Mai 2025, begangen. Der historische Staatsvertrag war am 15. Mai 1955 im Schloss Belvedere in Wien von den Außenministern der vier alliierten Besatzungsmächte (USA, Sowjetunion, Großbritannien, Frankreich) sowie dem österreichischen Außenminister Leopold Figl unterzeichnet worden.
Mit diesem Vertrag wurde die staatliche Souveränität Österreichs nach zehn Jahren alliierter Besatzung wiederhergestellt. Der Staatsvertrag trat nach Ratifizierung durch alle Signatarstaaten am 27. Juli 1955 in Kraft. Die Alliierten erhielten eine Räumungsfrist von 90 Tagen, sodass die Besatzungszeit am 25. Oktober 1955 endete. Am darauffolgenden Tag, dem 26. Oktober, beschloss der Nationalrat das Bundesverfassungsgesetz über die immerwährende Neutralität Österreichs – ein Datum, das seither als Nationalfeiertag begangen wird.
Der Staatsvertrag markierte somit einen entscheidenden Wendepunkt in der österreichischen Geschichte und legte den Grundstein für die Entwicklung eines eigenständigen, neutralen und demokratischen Österreichs.