140.000 Menschen pro Tag, 1.000 Züge und ein Hauch von Geschichte

Samstag, 9. Mai 2015:  Tradition – so klein sie auch ist - spielt im Jägerbataillon Wien 1 „Hoch- und Deutschmeister“ eine wichtige Rolle. Eine der kleineren ist der Besuch einer öffentlichen Einrichtung nach dem Milizschießen. Nach der Wiener Rettung, der Landespolizeidirektion Wien und der Leitstelle der Wiener Linien stand heuer der Hauptbahnhof im Mittelpunk des Interesses. Und so trafen sich 16 Angehörige der „Hoch- und Deutschmeister“ vor dem Bahnhof mit Ursula Koller, einer Fremdenführerin mit dem Spezialgebiet Hauptbahnhof.

Feuer frei!

Erster Programmpunkt des Tages war allerdings das jährlich stattfindende Milizschießen am Schießplatz Stammersdorf. Inmitten der friedlichen Weinberge am Rande Wiens trafen sich Angehörige des Militärkommandos Wien und der Wiener Milizverbände und maßen sich im kameradschaftlichen Wettbewerb mit den anderen Teilnehmern. Geschossen wurde mit Sturmgewehr und Pistole, wobei nicht nur die Schützen, sondern auch das Sicherheitspersonal am Stand zum Teil aus Milizsoldaten bestand. Sie unterstützten freiwilliger die Berufssoldaten und ermöglichten mit ihrem Einsatz das Schießen. Nach der Siegerehrung um 13.00 Uhr verabschiedete sich der Großteil der Anwesenden ins Wochenende, für die Deutschmeister begann der zweite Programmpunkt des Tages: die Führung durch den Hauptbahnhof.

Aus zwei mach eins

Private Eisenbahngesellschaften stellten in den 40er-Jahren des 19. Jahrhunderts die Weichen für den Zugverkehr an diesem Standort. Sie bauten mit dem Gloggnitzer und dem Raaber Bahnhof zwei Kopfbahnhöfe, die den Anfang der Bahnstrecken nach Süden und Osten bildeten. Die Verkehrsanforderungen stiegen, beide Bahnhöfe wurden abgerissen, neu gebaut und in Südbahnhof und Ostbahnhof umbenannt. Schon damals gab es Überlegungen für einen Zentralbahnhof, der aber aus Kostengründen nie gebaut wurde; erst 1995 präsentierten die Stadt Wien und die ÖBB die ersten Pläne dafür.

Der Hauptbahnhof nimmt rund die Hälfe des Areals – mit 109 Hektar so groß wie der achte Bezirk –  ein. Den Rest teilt sich das Büroviertel Quartier Belvedere mit dem Sonnwendviertel, in welchem etwa 5.000 Wohnungen und ein Park entstehen werden. Die Planung als Durchgangsbahnhof behebt auch endlich den größten Fehler seiner beiden Vorgänger: Jetzt bleiben Züge stehen, lassen die Fahrgäste ein- und aussteigen und fahren weiter. Damit können Passagiere in einem Zug von Danzig nach Venedig oder von Nürnberg nach Athen reisen, ohne umsteigen zu müssen. Und die Ansage „Endstation – bitte alle aussteigen“ gehört – zumindest in Wien – der Vergangenheit an.

Aus guten wie aus schlechten Zeiten

Auf den ersten Blick wirkt der neue Hauptbahnhof wie eine große U-Bahn Station: langgezogen und flach, nur ein Stockwerk hoch, steht er auf dem Südtiroler Platz. Blickt ein Besucher durch die Glasfront des Haupteinganges hinein, bekommt er einen ersten Eindruck seiner wahren Größe. Im Erdgeschoß und dem Untergeschoß liegt die Bahnhofscity mit ihren Geschäften, das Obergeschoß gehört den Reisenden, die über die Bahnsteige zu ihren Zügen eilen.

Die Bahnhofsuhr über dem Haupteingang zeigt die Zeit bereits seit mehr als 50 Jahren an. Sie ist ein Relikt des alten Südbahnhofs, genauso wie der steinerne Markuslöwe in der Eingangshalle, der an die Zugverbindung nach Venedig erinnerte. Arbeiter fanden während des Baus aber auch Relikte aus dem zweiten Weltkrieg, in dem der Südbahnhof das Ziel alliierter Bombenangriffe und in den letzten Kriegswochen auch am Boden heiß umkämpft war. Neben den erwarteten Blindgängern entdeckten  Bauarbeiter 2010 ein Kriegsrelikt der besonderen Art: Ein Borgward IV lag, mit den Ketten nach oben,  in einem eingestürzten Kellergewölbe. Dieser 3,5 Tonnen schwere Ladungsträger – ein kleiner Panzer ohne Turm – wurde von seinem Fahrer per Funk ins Ziel gelenkt, legte eine 450kg schwere Sprengladung ab und wurde wieder aus dem Gefahrenbereich gesteuert. Über seine Vergangenheit – ob er einen Auftrag hatte, wie er gelautet haben könnte oder ob er von seinem Fahrer zurückgelassen und nach Kriegsende in dem zerstörten Gewölbe entsorgt wurde – werden wir heute nichts mehr erfahren. Seine Zukunft aber ist bekannt, denn der Borgward ist ein paar hundert Meter entfernt im Heeresgeschichtlichen Museum ausgestellt und ist eines der wenigen von rund 1.200 gebauten Exemplaren, das heute noch existiert.

Den Abschluss bildete der jährliche Deutschmeister-Grillabend auf der Liberty Ranch in Ulrichskirchen, bei dem dieser ausgefüllte Tag am Lagerfeuer gemütlich sein Ende fand.