Kampfmittelbeseitigung  – das gute Spiel zur bösen Mine

Samstag, 21. Mai 2016: Die Bedrohung durch Minen und Blindgänger ist in vielen Teilen der Welt allgegenwärtig. Zusammen mit Sprengfallen und uSBV (unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtungen) werden diese auch für unsere Soldaten im Auslandseinsatz zur Gefahr. Wissen kann hier Leben retten – und dieses Wissen vermitteln die Mitarbeiter der Lehrgruppe Kampfmittelabwehr. In einer Außenstelle des Instituts Pionier der Heerestruppenschule bereiten sie nicht nur Pioniere auf den Umgang mit diesem brisanten Problem vor. Auch Soldaten anderer Waffengattungen und UN-Soldaten in der Einsatzvorbereitung durchlaufen diese Ausbildung in unterschiedlicher Intensität. Einer der Ausbilder, Vizeleutnant Binder, führte 13 Deutschmeister in die komplexe Welt der Kampfmittel ein.

 

Feuer frei!

 

Erster Programmpunkt des Tages war allerdings das jährlich stattfindende Milizschießen am Schießplatz Stammersdorf. Inmitten der friedlichen Weinberge am Rande Wiens trafen sich Angehörige des Militärkommandos Wien und der Wiener Milizverbände und maßen sich im kameradschaftlichen Wettstreit mit den anderen Teilnehmern. Geschossen wurde mit Sturmgewehr und Pistole, wobei nicht nur die Schützen, sondern auch das Sicherheitspersonal am Stand zum Großteil Milizsoldaten waren. Sie unterstützten die Berufssoldaten und ermöglichten mit ihrem Einsatz das Schießen. Für die Teilnehmer der folgenden Kaderfortbildung war der Zeitplan dicht gedrängt. Noch vor der Siegerehrung verabschiedeten sich die Milizkameraden gegen 11.45 Uhr Richtung Süden – in die Uchatius-Kaserne nach Kaisersteinbruch.

 

Verluste durch Kampfmittel: Keine

 

2008 wurden die selbständigen Waffenschulen in der Heerestruppenschule zusammengeführt. Die waffengattungsspezifische Ausbildung übernehmen seitdem Institute. Das Institut Pionier – bis dahin als Pioniertruppenschule bekannt und in Klosterneuburg angesiedelt – übersiedelte 2012 an seinen neuen Standort in Bruckneudorf. Für Kampfmittel ist die Lehrgruppe Kampfmittelabwehr zuständig; in ihren Bereich fällt der Umgang mit Minen, Munition und Blindgängern sowie Sprengmitteln aller Art. Auf 4,2 km² – der zweifachen Größe des 8. Wiener Gemeindebezirks – können die Mitarbeiter der Lehrgruppe alle Facetten der Kampfmittelabwehr ausbilden. Ein Highlight ist das Uchatiusdorf, dort simulieren Darsteller ein authentisches Dorfleben. Bei  verschiedenen Übungseinlagen sollen die Kursteilnehmer Hinweise auf Sprengfallen erkennen, versteckten Sprengstoff finden und zukünftig auch ein Tunnelsystem finden und durchsuchen. Gleich daneben wurde ein altes Stellungssystem nachgebaut, in dem ein Jagdpanzer Kürassier und eine alte amerikanische Feldkanone langsam vor sich hin rosten. In diesem Teil des Ausbildungsgeländes lernen Soldaten den Umgang mit zurückgelassenem Kriegsgerät und Munition. Auf einem anderen Areal trainieren angehende Kampfmittelbeseitiger, mit Tiefensonden Blindgänger in bis zu 6 Meter Tiefe zu orten und zu beurteilen. Auch ein Gelände zur humanitären Räumung ist vorhanden. Hier holen die Spezialisten alle Metallteile bis zu einem Gewicht von 0,2 Gramm aus dem Boden – damit machen sie ihn zu fast 100% metallfrei und wieder nutzbar. Militärische Räumung dagegen ist auf das schnelle passierbar machen von Geländeteilen ausgelegt und hat eine Räumquote von ca. 75%. Vor allem bei mechanischer Zerstörung von Minen können explosive Reste wie Zünder übrig bleiben, wodurch immer ein Restrisiko bleibt.

 

Der Erfolg des Ausbildungskonzepts spricht  für sich: Von 48 Nationen ist Österreich die einzige, die im Kosovo-Einsatz keinen Verlust durch Kampfmittel erlitten hat.

 

Sprengstoff und Zünder noch funktionsfähig

 

Dass man mit Kampfmitteln auch in Österreich in Berührung kommen kann, ist keine Seltenheit. Vor allem auf Baustellen stößt man auf das explosive Erbe unserer Vergangenheit – in Form von Blindgängern, vergessenen oder zu Kriegsende „entsorgten“ Kampfmitteln. Der Bau der Verbindungsbrücke zwischen der S33 und der S5 brachte im Jahre 2007 bei Traismauer ein Minenfeld ans Tageslicht, das die Rote Armee in den letzten Kriegstagen dort angelegt hatte. „Die Holzkästen waren schon lange verwittert, Sprengstoff und Zünder waren aber noch voll funktionsfähig“, erzählte Binder. Funde dieser Art fallen übrigens in den Aufgabenbereich des Entminungsdienstes, der 2013 vom Innenministerium in das Bundesheer überführt wurde. Seine Mitarbeiter bergen, entschärfen und vernichten Munition aus der Zeit vor 1955; um Relikte des Bundesheeres – etwa auf Übungsplätzen – kümmern sich die Kampfmittelbeseitiger. 2015 vernichtete der Entminungsdienst 45,6t Munition. Um Langeweile muss er sich keine Sorgen machen: alleine 3.000 scharfe Fliegerbomben werden noch in Österreichs Erde vermutet, von sonstigen Blindgängern gar nicht erst zu reden.

 

40% weniger Ausfälle

 

Auch auf den Kriegsschauplätzen der jüngeren Vergangenheit sind Kampfmittel eine tödliche Herausforderung. War die Bundeswehr zu Beginn ihres Afghanistaneinsatzes noch mit der Räumung von Minenfelder beschäftigt, sah sie sich mit den Jahren zunehmend mit Sprengfallen und improvisierten Sprengsätzen konfrontiert. „In konventionellen Kriegen sind 99% der eingesetzten Kampfmittel bekannt“, sagte Binder. Schwierig wird es, wenn in einem Konflikt mehrere, auch  irreguläre, Gruppierungen kämpfen, die einsetzen, was gerade zur Verfügung steht. Kampfmittelbeseitiger sehen sich dann nicht nur mit einer Auswahl aus dem internationalen Waffenarsenal konfrontiert – auch selbstgebaute Höllenmaschinen gefährden sie und ihre Kameraden. Das Resultat dieser Bedrohung ist eine Technik, die die Menschheit seit Jahrtausenden beherrscht, die aber in unserer modernen Zeit zunehmend in Vergessenheit geriet: Ground Sign Awareness, oder auf gut Deutsch: Spuren lesen. Seit die britische und amerikanische Armee ihre Soldaten in Ground Sign Awareness schult, haben sie rund 40% weniger Verluste durch derartige Kampfmittel. Das Prinzip ist einfach: Platziert ein Terrorist einen Sprengsatz, hinterlässt er Spuren oder Markierungen. Die Soldaten lernen, mit offenen Augen durch’s Leben zu gehen: stammt der Schuhabdruck von einem Militärstiefel, einem Sportschuh oder einer Sandale? Sind die Abdrücke tief – dann hat der Verursacher vermutlich etwas Schweres getragen. Fünf Steine in einer geraden Linie – unnatürlich und wahrscheinlich bewusst als Markierung platziert. Und sie lernen, auf ihr Bauchgefühl zu hören, denn wenn sich etwas nicht richtig anfühlt, ist es das meist auch nicht.